Marianne Gruber
Ins Schloss
Roman


Haymon Verlag
Innsbruck 2004
240 Seiten, geb.
€ 19,90


 Franz Kafka hat seinen Landvermesser K. zum Scheitern verurteilt. An Erschöpfung sollte er schließlich zugrunde gehen. So weit kam es aber nicht, „Das Schloß" ist bekanntlich unvollendet geblieben. Dass das so manchen Schriftsteller reizen könnte, sich am Stoff zu versuchen und den Roman fortzusetzen bzw. zu Ende zu schreiben, ist nicht verwunderlich. Andererseits: Wer will sich schon mit Kafka messen? Marianne Gruber wollte. Ihr Roman„Ins Schloss" ist ein Fortschreiben von Kafkas Welt unter anderen Vorzeichen, eine kritische künstlerische Antwort auf einen der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts und ein ganz schön gewagtes und hochtrabendes Vorhaben. Marianne Gruber ist in das Schloss Kafkas eingedrungen, und hat ihre eigene Literatur daraus gemacht, mit einem Roman, der sicherlich Diskussionen auslösen wird.

Eingehüllt in steifgefrorene Decken und mehr tot als lebendig erwacht K. vor dem Dorfwirtshaus. Eine recht traurige, armselige Figur macht der wieder auferstandene Landvermesser. Und dass er keine Ahnung hat, wie er die letzten Wochen verbrachte, macht die Sache nicht besser. Er kann sich nicht an die Gehilfen erinnern, die ihn auf Schritt und Tritt begleiteten, nicht an die Brückenhofwirtin, ebenso wenig an die Barnabasschen und nicht einmal an seine (Ex-)Verlobte Frieda. Grund genug für jene, zusammen mit den anderen Dorfbewohnern auf seinen Spuren zu wandeln, im Versuch, dem Fremden seine Erinnerungen zurückzugeben. Der zweifelt daran, ob es sich dabei überhaupt um seine eigenen handelt, wie ein Doppelgänger seiner selbst trottet er immer unwilliger kreuz und quer durch das Dorf, von Alpträumen geplagt, die vor allem um ein Thema kreisen: das Schloss.

Die Doppelgängermotivik, das Verschwimmen der Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, diese Kunstgriffe aus der fantastischen Literatur verwendet Marianne Gruber geschickt, um uns klarzumachen: der Landvermesser K. ist ebenjener aus Kafkas „Schloß" - und er ist doch ein anderer.

Was sich vor allem darin äußert, dass er viel konsequenter aufbegehrt als sein Vorbild. Marianne Grubers Held zeigt wenig Neigung, sich unter die Autoritätsgläubigkeit des Dorfes unterzuordnen, so wie sie selbst sich nicht unter die Autorität Kafkas unterordnen will, und so landet ihr K. am Ende doch im Schloss. Ein Sieg über die eigenen Ängste, über eine vertrocknete Gesellschaft und reaktionäres Untertanentum. Und das Schloss - ist leer. Die Belegschaft nimmt Reißaus vor dem Eindringling. Ein Sieg des Atheismus über sämtliche Weltreligionen? K. hat mit seinem Eigenwillen dem Dorf das Schloss geraubt - und damit sämtliche Illusionen.

Obwohl sie im Kafka-Universum auf ihren eigenen Schleichwegen wandelt, ist es Marianne Gruber gelungen, die Atmosphäre des Original-Dorfes authentisch einzufangen und auch das eine oder andere weitere Versatzstück aus anderen Texten Kafkas in ihr Netzwerk einzuweben. So wird der Landvermesser mal K., mal Josef K. genannt, und der Gemeindevorsteher des Dorfes ähnelt in seiner herrischen Kränklichkeit gewaltig dem Advokaten aus dem „Prozeß". Aber Gruber spielt nicht die Epigonin, sie verwendet Kafkas Figureninventar, um es auf einem neuen Schachbrett antreten zu lassen. Und damit weht „Ins Schloss" ein völlig anderer Wind als im „Schloß". Der ewige Schnee muss langsam dem Frühling weichen, der zunächst Schneematsch, dann aber auch neue Hoffnung bringt, und die Spannung des Unangenehmen, die sich bei Kafka daraus ergibt, dass (Josef) K. jedwedes Spiel so bereitwillig mitspielt und sich demütig den Regeln beugt, weicht in Marianne Grubers Version der Genugtuung, dass er genau das nicht tut. Nur kann ihr Roman damit auch nicht diese Fülle an Interpretationsmöglichkeiten bieten, die mit dafür verantwortlich ist, dass sich Germanisten und Philosophen seit Jahrzehnten über das „Schloß" und den „Prozeß" den Kopf zerbrechen.
„Ins Schloss" ist also ein durchaus gelungenes Kafka-Projekt, aber kein wirklich kafkaeskes.

Die Furche Nr. 13, 25. März 2004




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