Letzte Tage im NonntalARGE kultur:Wie alles begann und warum sich Stammgäste auf die Übersiedlung ins neue Gebäude freuen |
„Schad, dass du ned gestern da warst, da is der Drummer vom Ostbahn Kurtl da gsessn.“ Und heute sitzen wir am 1er-Tisch und reden über alte Zeiten. Die ehemaligen HTL-Werkstätten, besser bekannt als ARGE Nonntal, werden bald Geschichte sein. Das neue Gebäude ist fast bezugsfertig, am 6. Oktober ist Eröffnung. „Und was passiert mit dem allen hier?“ – „Das wird geschliffen.“ Aha. Oje? Die Kellnerin bringt einen frischen Sommerspritzer, schurlt mit ihrem schweren Tablett gleich weiter durch die Biertisch-Reihen bis ganz nach hinten zu den Birken und wäre dabei dabei fast über einen Igel gestolpert. Dafür gibt ihre Ladung für den Tisch da hinten aus. (Ein Sommerspritzer heißt nicht deshalb Sommerspritzer, weil mehr Wasser drin ist, sondern weil insgesamt mehr drin ist.) Im Sommer sind die Leute durstig und kriegen einen halben Liter. Und im Herbst halt auch. Damit die Kellner nicht ganz so oft rennen müssen. Max Stamler sieht ihnen entspannt zu. Neun Jahre lang war er einer von ihnen und stand hinter der Bar. Jetzt sitzt er am Stammtisch und erzählt: „Alle möglichen Leute waren da, ganz bunt gemischt. Die Richter und die Staatsanwälte kommen Mittagessen, weil sies nicht weit haben vom Justizgebäude, und am Nebentisch sitzen die Knackis und saufen.“ Der Igel beim Stadel drüben hat seinen Teller leergefressen und putzt sich träge unter dem wilden Wein. „Nicht, die haben Flöhe!“ ruft das bayrisch-kolumbianische Frauchen, aber der Hund ist schon dort und schnuppert. Den Igel tangiert es nicht. Am Nebentisch reden sie über irgendein Buch, und drinnen an der langen Bar wird laut gelacht. Unterm Verputz blinken da und dort die Ziegel durch. Seit fast zwanzig Jahren steht das Flaggschiff der autonomen Szene dafür, dass es in Salzburg neben den Festspielen und Mozartkugeln noch was anderes gibt. Dass „Zürich brennt, Salzburg pennt“ vielleicht doch nicht ganz stimmt. Bei einer der vielen Demos sei es dem damaligen Bürgermeister zu blöd geworden, und es habe geheißen: „Gebts Ruhe, ihr könnt haben, was ihr wollt.“ Was sie wollten, waren die ehemaligen HTL-Werkstätten, das Gelände, auf dem wir nun sitzen. Der Standard-Journalist und leidenschaftliche Bergsteiger Thomas Neuhold war damals KPÖ-Funktionär und ARGE-Mitglied der ersten Stunde. 1987 war es endlich soweit: Eröffnung. Mit diversen Tricks, damit der Wirt nicht gleich verhaftet wird. Bis heute steht auf den Speisekarten: Das ARGE-Beisl ist ein Vereinslokal und als solches nur für Mitglieder zugänglich. „Wir haben keine Lizenz gehabt. Aber wir wollten unbedingt was machen, einen Platz für uns haben. Rechtlich ging das eben als Vereinslokal. Und wir haben Eintritt verlangt und das als Tagesmitgliedschaft verkauft. Zu dritt waren wir, mit dem Hans-Peter und der Vroni“, Robert Steinle nimmt einen kräftigen Schluck Weizenbier, „und ich war der Koch.“ Heute ist er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „Perspektive“, lebt abwechselnd in Budapest, Wien und St. Pölten, unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und schreibt experimentelle Texte. Damals finanzierte sich der gelernte Koch sein Germanistikstudium vor allem mit Taxifahren. „Drum kenn ich mich in keiner Stadt so gut aus wie in Salzburg“, grinst er. Dass die alten Stammgäste dafür ihn gar nicht mehr kennen, wundert ihn nicht: „Als Koch steht man halt meistens in der Küche. An meine Schwammerlsauce werden sie sich eher erinnern.“ „Oral history ist sowieso ein Problem“, Thomas Neuhold zieht an seiner Lucky Strike, „man erzählt nicht das, was war, sondern wie man es im Nachhinein sieht.“ Jetzt klingelt sein Mobiltelefon; nebenan am Turm vom Heizkraftwerk der Salzburg AG könnte man viel Handymastensteuer einnehmen. Der Empfang dürfte also gut sein. In der Heurigenlichterkette über uns ist eine Birne ausgebrannt. Die ARGE Nonntal, heißt mittlerweile eigentlich ARGEkultur, nur sagt das keiner. Und auch sonst hat sich einiges verändert. Neuhold hat sein Gespräch beendet: „Die ARGE ist Mainstream geworden, sie wollen das so. Politisch ist da gar nichts mehr los. Das Kulturzentrum ist so ähnlich wie der Posthof in Linz. Eh nichts Schlechtes.“ Anders war es ihm lieber, daraus macht er kein Hehl. „In ihren besten Zeiten hat die ARGE 3.000 Mitglieder gehabt, das sind zwei Gemeinderatsmandate. Und wir haben eine eigene Zeitung gehabt …“ The times, they are a-changin’ … raunzt Bob Dylan aus der Box. „Und wir haben uns ja auch alle verändert. Damals waren wir 25, jetzt sind wir Anfang 40.“ Gegen die Übersiedlung ins neue Gebäude hat er aber nichts, im Gegenteil. „Es ist eh alles hin da“, Neuhold dämpft seine Zigarette aus, „die Säule dort drinnen haben wir selber aufgestellt, damit die Decke nicht runterkommt. Und wenn es regnet, rinnt das Wasser aus den Netzwerkschläuchen für die Computer.“ Die ARGE Nonntal ist also eine Bruchbude. Beisl im Abbruchhaus. Renovieren wäre teurer gewesen als der Neubau. Die ARGE geht mit der Zeit und die Stadt Salzburg dankt es ihr mit Subventionen. Ein bisschen Glut landet neben dem Aschenbecher. „Ob sie das Flair wieder so zusammenbringen, ist eine andere Frage.“ Und ob der Drummer vom Ostbahn Kurtl dort auch gern hingeht. Vielleicht sitzen wir ja demnächst ein paar Häuser weiter im neuen ARGE-Beisl wieder am 1er-Tisch und reden über alte Zeiten. Dann werden wirs wissen. Nur einen Haken hat die Sache, zumindest für den alten Stammgast: „Häuser, die nicht erkämpft sind, sind nichts wert.“ 3. Oktober 2005
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