Blut wird fließen

Die ungarische rechtsradikale Partei „Jobbik“
unterhält neuerdings einen paramilitärischen Verband – um das kulturelle Erbe Ungarns zu verteidigen

Von Robert und Sabine Dengscherz


August 2007


Budapest. Várhegy. Unzählige Fahnen auf den Serpentinen bergan: ungarische Fahnen und siebenbürgische Fahnen, Fahnen der mittelalterlichen Árpáddynastie, Fahnen mit ungarischen und transsylvanischen Königswappen, Fahnen der Revolution von 1848, die historische Fahne eines Jugendverbandes aus der Horthy-Ära und die berühmten Fahnen des Aufstands von 1956, durch die der Wind pfeift, weil der rote Stern herausgeschnitten wurde. Fahnen, Fahnen, Fahnen. Der ganze Burgberg voller Fahnen. Ein Tuch gewordener Streifzug durch 1000 Jahre ungarische Geschichte mit vielen starken Symbolen nationalen Zusammenhalts gegen wirkliche und eingebildete Unterdrücker. Es ist der 25. August 2007, und wir können nur hoffen, dass dieser Tag am Ende doch nicht in die Geschichte eingehen wird.

Für die ungarische Rechte ist es ein historischer Augenblick. Trotz nationaler und internationaler Proteste, ungeachtet der ausdrücklichen Missbilligung durch die ungarische Regierung werden heute die ersten 56 Mitglieder der paramilitärischen Truppe Magyar Gárda (Ungarische Garde) der rechtsradikalen Partei Jobbik (Die Rechte) vereidigt. Ungeniert in aller Öffentlichkeit. Zwischen dem Amtssitz des ungarischen Präsidenten und dem Burgpalast, am Szent György Tér, dem traditionellen Paradeplatz. Unter den Schwingen des archaischen Sagenvogels Turul, der einst Großfürst Árpád und seine Ungarn auf ihrer Wanderung bis ins Karpatenbecken führte, wo sie im 9. Jahrhundert Land nahmen.

„… ria! … ria! … Hun-ga-ria!“ brüllt die Menge in freudiger Erwartung. Und wird sofort belohnt. Mit „Hochachtung“ begrüßt Sándor Pörzse, Gründungsmitglied der Magyar Gárda alle, die trotz der Anfeindungen der letzten Tage (laute Buh-Rufe und Pfeifen) hier erschienen seien. Jeder dürfe mitfeiern, aber „wer mit Ausrufen oder Gesten die Gefühle anderer verletzt oder böse Erinnerungen in ihnen wachruft, ist nicht unser Gast.“

Die demonstrative Friedlichkeit kommt nicht von ungefähr. Waren doch die Feiertagsaufmärsche im letzten Jahr regelmäßig in Straßenschlachten ausgeartet. Nur zuletzt am Tag des Heiligen Stefan (20. August) war es ruhig. Die Hauptnachrichten berichteten lediglich vom tollsten Feuerwerk aller Zeiten.
Ganz freundlicher Gastgeber, lässt es sich Pörzse nun nicht nehmen, den „anderen Verbänden“ seine lieben Grüße zu schicken, den Antifaschisten (laute Buh-Rufe), der Jüdischen Gemeinde (Buhuuuh) und der Roma-Selbstverwaltung (Buuuuhhhh). „Mögen sie sich alle so kultiviert betragen wie die ungarische Garde.“ Das täten aber leider nicht alle in Ungarn. Ein Kamerad könne an der Feier heute nicht teilnehmen, da er mit einer Gaspistole attackiert worden sei. Feierlich erhebt Pörzse die Stimme über das empörte Geraune im Publikum: „Beim ersten Einsatz der ungarischen Garde – das sage ich euch …“

Kunstpause.

Pörzse holt Luft, lässt die Stimme anschwellen: „Vér … fog … folyni!!!“ Blut. Wird. Fließen.

Kunstpause.

Einige sind begeistert, viele überrascht. Die gehen aber ran.

Sándor Pörzse fährt grinsend fort: „Wir erwarten Sie alle mit Freuden beim Blutspenden!“ Gelächter. Fahnenschwenken. An einer besonders langen Stange weht zuoberst die Fahne der Republik Ungarn, darunter die rot-weiß-gestreifte Árpád-Fahne, und zuunterst ein trauerschwarzes Stück Stoff: „Vesszen Trianon! Zum Teufel mit Trianon!“

Ungarn hat nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel seines Staatsgebietes verloren. Geschätzte 4 Millionen Ungarn leben heute außerhalb des ungarischen Staatsgebietes. Mit dem EU-Beitritt haben zwar Staatsgrenzen an Bedeutung verloren, doch im rechten Lager träumt man immer noch von einstiger Größe.
Darauf bauen Viktor Orbáns Mitte-Rechts-Bund Fidesz, aber auch extreme Gruppierungen wie Jobbik oder die rechtsradikale und deklariert antisemitische MIÉP (Wahrheits- und Lebenspartei). Die beiden Kleinparteien kandidierten 2006 auf einer gemeinsamen Liste und erhielten 2,2 Prozent. Viele ihrer Sympathisanten wählen im Ernstfall doch lieber Orbán, denn sie sind ja viel weniger für die ganz Rechten als um jeden Preis gegen die Sozialisten.

„Gyurcsány, takarodj! Gyurcsány, takarodj!“ blökt die Menge jedes Mal mechanisch, wenn der Name des Regierungschefs fällt – Gyurcsány, verschwinde!

Seit der Wende war die ungarische Politik von einem Wechsel zwischen sozialistischer und bürgerlicher Partei bestimmt – bis im Frühjahr 2006 Unerhörtes geschieht und die sozialistische MSZP für eine zweite Legislaturperiode wiedergewählt wird.
Und dann wagt es der sozialistische Ministerpräsident auch noch zuzugeben, dass die Öffentlichkeit seit den 90er-Jahren belogen wurde. Ein gefundenes Fressen für den politischen Gegner, die Wurzel allen Übels hat nun endlich einen Namen: Ferenc Gyurcsány.

„Wir wollen dieses Land nicht bestehlen, ausrauben und ausnützen, sondern wir wollen ihm dienen, es erhöhen, schützen und aufbauen für die Zukunft“, stellt Jobbik-Chef Gábor Vona klar, was seine Partei von der derzeitigen Regierung unterscheidet und erntet tosenden Applaus dafür.

Festrednerin Mária Wittner, Fidesz-Abgeordnete und als Freiheitskämpferin 1956 zum Tode verurteilt, lobt die „offenen, reinen Gesichter“ der jungen Gardisten. Sie haben dem Satan den Kampf angesagt. Dann entdeckt sie die Fahne des Aufstands von 1956 im Publikum: „ … eine löchrige Fahne mit den Wundmalen Christi.“

Gleich neben der stigmatisierten Fahne tanzt über einer freundlichen alten Dame ein offensichtlich selbstgebasteltes Schild mit bunten Marienbildchen in der Luft. „Glaube, Liebe, Hoffnung“ ist darauf zu lesen, und dass die finsteren Mächte besiegt werden müssen. Im Hintergrund schlendert ein Glatzkopf vorbei. Deutschland und Ungarn sind Waffenbrüder, steht in wuchtiger Fraktur auf seiner Brust.
Auf der Bühne warten derweil ein katholischer, ein evangelischer und ein reformierter Priester. Gleich werden sie die Gardisten und ihr Banner segnen.
Von nun an wird die Magyar Gárda ungarische Kultur und Tradition verteidigen. Gegen alle, die auch nur den kleinen Finger gegen das Land erheben. „Gott sei mit euch.“ Amen.

In feierlicher Hochstimmung zerstreut sich die Menge allmählich. Den Gardisten schwillt die Brust – sie erweisen sich aber als medienscheu. „Ein gutes Gefühl“, mehr ist aus dem jungen Zoltán Tóth nicht herauszukriegen, dort drüben ist die Pressekonferenz, deutet er auf chaotisches Treiben rund um Gábor Vona. Nein, seinen Namen will er uns lieber auch nicht nennen. Den verrät uns erst ein paar Tage später eine der zahlreichen Aufzeichnungen der Zeremonie auf YouTube. Die anonymen Postings zu den Filmen sprechen da schon eine deutlichere Sprache. „Gyurcsány möge verrecken“, schreibt etwa somorkoma92, „öljük meg! Bringen wir ihn um!“ Der Kommentar steht seit nunmehr 4 Monaten im Internet …

Als redselig erweist sich der freundliche Familienvater im Braunhemd. Der jüngste Sohn präsentiert freudestrahlend das Modell eines Tigerpanzers der deutschen Wehrmacht, das hat ihm Papa heute auf der Militärausstellung in Csobánka gekauft. Tolle Veranstaltung, tolle Devotionalien, da sollten wir hinfahren. Der Gürtel? Nein, der Gürtel wurde nicht heute erstanden, den hat Papa von seinem Großvater. Stolz montiert er die Schnalle ab. „Blut und Ehre“ ist auf der Rückseite zu lesen, das Hakenkreuz fein säuberlich abgeschliffen. Der Opa stammt aus Bruck an der Mur. Gott hab ihn selig.

Ein paar Tage nach der Vereidigung strömt der Verkehr wieder flüssig über die Kettenbrücke. Auch auf die Sikló müssen wir nicht lange warten. Wir sind schon im Wagen, da schafft es im letzten Moment ein junger Mann und bedankt sich wortreich für das Offenhalten der Tür. Auf seinem T-Shirt krallen sich von allen Seiten Hände gierig in die Randgebiete des Königreichs Ungarn und zerreißen das Land.

Willkommen im Alltag.

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